Muschelsplitter am Lebensstrand

 

Einen schmalen Pfad 

entdeckte ich bei meiner Suche

nach Muscheln am Lebensstrand.

Dort, wo so viel mit mir angespült wurde im Laufe der Zeit. Dort, wo sich so viele Ablagerungen angesammelt haben, Erinnerungen an Vorzeiten, Verendetverwendetes, zu Ende Geliebtes, Sagendumwobenes. Der Zugang dazu ist schmal, dem Außenstehenden kaum einfühlbar. Und für mich, dem Innestehendinmirwohnenden? Ich lasse immer mehr Festland hinter mir auf der Suche nach meinem Weg zu Mehr, dem unendlichen Meer ungelebten Lebens. Wer könnte ich noch sein außer Ich? Während mich meine Füße in den feuchten Sand graben, steigt mir der Geruch verwesender Algen in die Nase- Sinnbild all meiner verwitterten Lebenstage. Meine Füße schneiden sich an Muschelsplittern der Glücksfluten von ehedem und ein kleiner Rinnsal Blut färbt die kleine Wasserfurche kaminrot. Und doch spüre ich keinen Schmerz, nur den lauten Muschelruf: "Setze weiter Fuß um Fuß, der in den Boden sinkt!" Ohne Grund, aber nicht grundlos genieße ich sandumspülte Bodenhaftung, die mich nicht fallen lässt. Ich habe endlich meinen Platz gefunden, hier, am Lebensstrand: Ich bin da, wo ich bin.

 

Gießen, Januar 2015